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Il Viaggio

La smorfia della vita
Ein rituelles Theaterlabor

Uraufführung am 15.11.2006 im i-camp, Neues Theater München

weitere Aufführungen: 17. – 20.02. 2011, I-camp, München 04.+05.03.2011 “Vancouver International Dance Festival”, Vancouver, Canada

Besetzung
Yvonne Pouget: Idee/Regie/Choreographie/Musikdramaturgie/Tanz
Katharina Neuweg / Damien Liger: Tanz/Choreographie
Giacomo Di Benedetto: Gesang und Schauspiel
Rainer Ludwig: Lichtdesign

Identita Identita
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Über das Stück
Yvonne Pouget steigt in ihrer neuen Produktion “Il Viaggio – La smorfia della vita” tief hinab in die volkstümliche neapolitanische Kultur, mit ihren Geisterwelten und ihrem Aberglauben. Die in München lebende gebürtige Neapolitanerin verbindet dabei ihre eigenen ausdrucksstarken Bildschöpfungen mit der choreographischen Sprache ihrer Choreographen-Tänzer Katarina Neuweg und Damien Liger ein.

Ein Leben wird uns geschenkt, wir werden geboren, nackt. Wir machen uns auf den Weg, wir begeben uns auf eine Reise. Wir tragen unser Herz voller Hoffnung, Zuversicht, Bangen und Sehnsucht. Die Reise ist unser persönliches Lottospiel, die Würfel fallen und wir folgen ihren Zahlen. Das Leben beutelt uns, so wie die Smorfia-Zahlen im Korb geschüttelt werden, aber wir suchen dennoch unser Glück. Etwas fügt das Leben hinzu, etwas nimmt es fort. Wir durchreisen Kindheit, Pubertät, das junge Erwachsensein, das mittlere Alter, das reifere Alter, das Alter, und am Ende verlieren wir unser nacktes Leben. Die Schöpfung nimmt es uns wieder fort. Wir tragen ein Hemd. Wir denken nicht gerne daran, daß wir nicht gefragt werden, ob wir nackt geboren demutsvoll in den Tod reisen wollen. Wir verändern uns auf der Reise, unser Körper, unser Bewußtsein, wir verpuppen uns und graben uns ein, wir verlassen und lassen los, wir reisen auf einem drehenden Rad aus Werden und Vergehen. Die alte Haut bleibt liegen, wie ein verlassenes Haus, wir wohnen in einer neuen Haut. Es heißt Abschied nehmen um weiterzureisen, weiterzukommen, um zu leben. Jeder trägt sein Bündel, sein Bewußtsein, sein Vergessen, seine physische Sterblichkeit. In uns “wohnen” alle, die wir auf dieser Reise gewesen sind. Alte Menschen werden wieder Kinder, und dann kehren sie zurück.

Die Dramaturgie des Glücksspiels
Yvonne Pouget nutzt als dramaturgisches Instrument für ihre neue Produktion “Il Viaggio – La smorfia della vita” das neapolitanische Traumdeutungsbuch la smorfia, das jedem Traumsymbol und jeder Traumhandlung eine Glückszahl zuweist, die für das Lottospiel genutzt wird. In Neapel hängt das Lottospielen seit jeher mit dieser jahrhundertealten Form der Numerologie zusammen, ähnlich der Zahlenmystik des Pythagoras oder der Kabbala. Schon immer haben die Armen der Stadt damit versucht ihr Leben zu interpretieren, um sich dem Schicksal nicht gänzlich ausgeliefert zu fühlen.
Das Spielbrett des Smorfia-Bingos besteht aus 90 Zahlen. Einer Zahl werden dabei mehrere Symbole zugeordnet. Der genaue Handlungsablauf des Traums ist entscheidend für die richtige Zuweisung der Zahlen. So wird beispielsweise der Mutter (la mamma) die Zahl 52 zugeordnet. Ist diese mamma jedoch eine spielende Mutter wird ihr die Zahl 74 zugewiesen und die Bedeutung im Traum ist dann “Sehnsucht nach der Vergangenheit”. Träumt man allerdings von einer lachenden Mutter, wird ihr die Zahl 9 zugewiesen und die Bedeutung ist dann “Fruchtbarkeit”. Die Bühnenfläche ist in Pougets Produktion das metaphysische Spielfeld des Smorfia-Bingos. Wir befinden uns in einem rituellen Theaterlabor in dem “die Würfel fallen”. Das Ziehen bestimmter Zahlen bestimmt den weiteren Verlauf des Stückes. Bestimmte Felder aktivieren zudem bei den Tänzern Verwandlungs- und Verpuppungsprozesse. Am Ausgangspunkt stellt sich ein vielschichtig strukturiertes Selbst in seinen zahlreichen Persönlichkeitsfacetten vor, das sich beobachtet und gleichzeitig beobachten läßt, und das darin die für sich adäquateste Vorstellungsweise findet. Die entstehenden Bilder deutet Pouget dabei als Allegorien, die festgeschriebene Identitäten auflösen und den zugehörigen “dunklen Körper” freilegen. In ihrer bisherigen Arbeit hat Pouget bereits den weiblichen Körper als Zeichen eines erotisierten ästhetischen Staunens zerstört, der das Ritual des Voyeurismus als auch des Exhibitionismus darlegt. Die teilweise verstörende frontale Direktheit ihrer Arbeit ist dabei Absicht. Dieser Ansatz wird auch in “Il Viaggio – La smorfia della vita” weiterverfolgt. Die “gewürfelten Bilder” und Allegorien verpuppen sich, wandeln und “häuten” sich, werden “wiedergeboren”. Die Tänzer reisen auf einem sich drehenden Rad aus Werden und Vergehen. Eine alte Haut bleibt liegen, wie ein verlassenes Haus. Das rituelle “Smorfia-Theater-Labor” gleicht einem Traum, in dem es gilt dem Schicksal die Stirn zu bieten.

Zahlenbeispiele der volkstümlichen “Tombola della smorfia”
21 “‘a Femmena annura” – “die nackte Frau”
6 “chella ca guarda ‘nterra” – “jene die zu Boden schaut” (= die weibliche Vulva)
78 “‘a bella figliola” – “das schöne Mädchen” weckt in der Tänzerin die Sehnsucht, sich als schöne, begehrte und bewunderte Frau zu geben, sich an ihre Jugend zu erinnern
48 “‘o muorto che parla” – “der Tote, der spricht”
47 “‘o muorto” – “der Tote” (der nicht spricht). Er kann als Geisterwesen in der Zeit reisen und pendelt in seiner Darstellung zwischen:
2 “‘a Criatura” – “das Kind” und
89 “‘a Vecchia” – die Alte und verbeugt sich lächelnd und wissend in Demut vor dem Ziel der Reise.
In Neapel kann man nicht einfach warten, daß im Leben was passiert – “Man muss immer sein Glück suchen.”

Spieltrieb und mystische Versenkung werden in Neapel im selben Atemzug genannt, Besessenheit und pulsierende Lebendigkeit nähren sich aus der Nähe zu Heiligem und Profanem. “Neapel ist eine wunderbare Stadt aus Zahlen,” behaupten die dortigen Lotto- und Bingospieler. Tradition haben Bingoabende die von Transsexuellen – den Feminellas – in ihren Privatwohnungen abgehalten werden. Diese Feminellas räumen für ganze Nachmittage ihre Wohnung aus, um darin Bingo zu veranstalten – ein Lebenserwerb, den?sie kreativ dazu nutzen, neue, obszöne Bedeutungen für die zufällig gezogenen Zahlen zu erfinden, der Lebendigkeit und der Freude willen. Eine reichhaltige, sexuell freizügige Umgangssprache hat in der neapolitanischen Identität eine tiefe Verbindung mit der Sehnsucht zu leben und sein Glück zu finden.

Besetzung
Katharina Neuweg Die gebürtige Österreicherin Katharina Neuweg absolvierte ihre Tanzausbildung von 1988 bis 1997 an der Ballettschule der Österreichischen Bundestheater in Wien. Als Elevin trat sie in verschiedenen Produktionen wie DER NUSSKNACKER, LA SYLPHIDE und DIE PUPPENFEE an der Wiener Staatsoper auf. Im Jahre 1996 gewann Sie den dritten Platz des 1. ÖTR Tanzwettbewerbs.
Katharina Neuweg wirkte in zahlreichen Tanzproduktionen in Österreich (TUT CA VA?, Editta Braun, Salzburg, SONG OF O, Liz King, Wien) sowie mit Philip Talard in Deutschland mit. Von 1997 bis 1999 war sie festes Mitglied am Ballett der Volksoper Wien unter der Leitung von Kimberly Duddy, anschließend an der Transitions Dance Company (Laban Centre London), am Theater des Westens in Berlin (FALCO MEETS AMADEUS) und Solistin am Tiroler Landestheater unter der Leitung von Jochen Ulrich. Seit der Spielzeit 2003/04 ist Katharina Neuweg Mitglied des balletttheater münchen. Rollen in dieser Spielzeit:
Die Herzogin (Alice im Wunderland) Programm II: Imagine! Lebenslinien Tänzerin (Musical “Marilyn”) Choreographie “Untitled” (“Tänzer choreographieren Nr. 8)

Damien Liger Damien Liger wurde in Frankreich geboren und studierte von 1984 bis 1994 in Genf an der École de danse bei Beatriz Consuelo. Hier sammelte er schon in den schulinternen Sénior-Aufführungen erste Bühnenerfahrungen. 1994 wurde er an das Staatstheater Braunschweig engagiert, wo er mit Pierre Wyss zusammenarbeitete und u.a. Romeo in ROMEO UND JULIA und Lysander in EIN SOMMERNACHTSTRAUM tanzte. Ab 1998 trat Damien Liger in freier Gastiertätigkeit in Choreographien von Jean-Christophe Maillot, William Forsythe, Ohad Naharin und Philippe Talard am Nationaltheater Mannheim, am Staatstheater Stuttgart und am Grand Théâtre Genève auf. Damien Liger war von 2000 bis 2005 Mitglied des balletttheater münchen. Choreographie von Damien Liger in dieser Spielzeit im Theater am Gärtnerplatz: Programm II: Imagine!(Choreographie) “Nisi Dominus”

Giacomo Di Benedetto Der vielseitige italienische Sänger Giacomo di Benedetto begann seine Karriere 1988 in Italien. Dort nahm er mehrere Platten auf und gewann mit dem Song “Vattene Via” den dritten Platz beim San Marino Festival. 1992-1998 studierte er in Deutschland Gesang an den Musikhochschulen in Köln und Essen (mit Diplom). Während und im Anschluß an sein Studium an der Folkwang Schule in Essen arbeite er in übergreifenden Musik- und Tanztheaterprojekten mit. Es folgten internationale Tourneen u.a. mit Norma Winstone und Uli Beckerhoff. Im Jahr 2004 begleitete er den Circus Roncalli auf seiner Jubiläums-Tournee als Lead-Sänger. 2005 kam sine neue CD “Control Yourself” auf den Markt.
In jüngster Zeit entwickelt sich Di Benedetto auch als Autor von Musik und Texten für andere Künstler und Sänger in Deutschland und tourt mit dem Circus Roncalli für die Reihe “Circus meets Classics” durch deutsche Städte.

 

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